E-Residency – Steuerfrei in Estland gründen?

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Hinweis: Der Beitrag stellt einen Ausschnitt aus dem Artikel von Haaf/Weiss, No place to hide – die estnische Kapitalgesellschaft als Steuersparmodell?, veröffentlicht in der IStR 2022, 701 aus dem c.H. Beck Verlag, dar.

 

In den letzten Monaten mehren sich Beiträge in den sozialen Netzwerken und öffentlichen Medien, wonach mit Hilfe der sog. „e-Residency“ auf unkomplizierte Art und Weise eine Kapitalgesellschaft in Estland gegründet werden kann (vgl. Beitrag der „Tagesschau“ vom 14.05.2022, abrufbar über: https://www.instagram.com/p/Cdhty7TKOGl/). Die „e-Residency“ ermöglicht seit dem Jahr 2014 die Unternehmensgründung qua online Registrierung. Selbst nicht-estnische Staatsbürger können durch elektronische Beantragung einer solchen „e-Residency“ digital ein Unternehmen in Estland gründen und dort Steuern zahlen, ohne jemals in Estland gewesen zu sein. Mithilfe einer Chipkarte erhalten „e-Residents“ nicht nur Zugriff auf ihre Konten und Steuererklärung in Estland, sondern können seit 2014 auch eine Gesellschaft vollkommen digital dort gründen. Die Gründung einer estnischen „Osaühing“ (kurz „OÜ“) erfordert lediglich ein Stammkapital in Höhe von EUR 2.500,00 und kann für natürliche Personen auch ohne Mitwirkung eines Notars und ohne physische Anwesenheit vor Ort erfolgen. Steuerlich wird bisweilen mit den Vorteilen eines niedrigen Körperschaftsteuersatzes und der Tatsache, dass unternehmerische Gewinne der in Estland ansässigen Unternehmen steuerbefreit sind, solange diese nicht ausgeschüttet werden, geworben. Verschiedentlich wird die OÜ daher auch als Anlagevehikel und Sparbüchse angepriesen.
Mit Blick auf die weltweise Digitalisierung sämtlicher Prozesse unserer Gesellschaft ist die online-Gründung einer Kapitalgesellschaft ein unstreitig begrüßenswerter Schritt. In steuerlicher Hinsicht sollte jedoch vor Gründung einer OÜ mit Hilfe der e-Residency Expertenrat eingeholt werden. Denn die Begründung eines Wohnsitzes (oder auch nur gewöhnlichen Aufenthalts) in Deutschland, die Hinzurechnungsbesteuerung im AStG und auch das Doppelbesteuerungsabkommen Estland-Deutschland können für den – unbeschränkt oder beschränkt – deutschen Steuerpflichtigen besondere Fallstricke darstellen.

 

Die steuerliche Behandlung der OÜ nach deutschem Steuerrecht

Aus deutscher steuerlicher Perspektive ist die estnische OÜ als Kapitalgesellschaft einzuordnen. Ist der Gründer der OÜ ausschließlich in Deutschland ansässig ist und betreibt er seine täglichen Geschäfte im Zusammenhang mit der OÜ von Deutschland aus, so führt dies dazu, dass auch der Ort der Geschäftsleitung in Deutschland ist. Denn nach der Rechtsprechung des BFH befindet sich dieser dort, wo nach den tatsächlichen Verhältnisse in organisatorischer und wirtschaftlicher Hinsicht die wichtigste Stelle ist, an der dauernd die für die laufende Geschäftsführung nötigen Maßnahmen von einiger Wichtigkeit angeordnet werden. Bei einer Körperschaft (und damit auch bei der OÜ) ist das regelmäßig der Ort, an dem die zur Vertretung befugten Personen die ihnen obliegende laufende Geschäftsführertätigkeit entfalten (vgl. statt vieler: BFH vom 5.11.2014 – IV R 30/11, DStR 2015, 414). Ist der Ort der Geschäftsleitung in Deutschland, so führt bereits dies nach § 1 Abs. 1 KStG zu einer unbeschränkten Steuerpflicht in Deutschland. Als wesentliche Konsequenz unterliegt das Welteinkommen der OÜ dann in Deutschland der Besteuerung (§ 1 Abs. 2 KStG). Eine etwaige Doppelbesteuerung mithilfe des DBA Deutschland Estland lässt sich hier auch nur dann vermeiden, wenn es zu gegenseitigem Einvernehmen durch Zusammenarbeit der zuständigen Behörden auf Basis der tie-breaker-rule des Art. 4 Abs. 3 DBA Estland kommt.

 

Weitere steuerliche Pflichten infolge der Gründung der OÜ

Die OÜ unterliegt zudem – beginnend mit ihrer Gründung – weiteren steuerlichen Pflichten. Sie muss sich steuerlich registrieren und ist verpflichtet, eine Körperschaft- und Gewerbesteuererklärung abzugeben. Darüber hinaus ist die OÜ als anzuerkennende ausländische Kapitalgesellschaft auch in Deutschland verpflichtet, Bücher zu führen und einen Jahresabschluss aufzustellen. Außerdem sind die jeweiligen Dokumente und Unterlagen nicht nur nach den jeweiligen landesrechtlich geltenden gesetzlichen Vorschriften aufzustellen, sondern auch in der entsprechenden jeweiligen Landessprache einzureichen. Ein nicht der estnischen Sprache mächtiger Gesellschafter dürfte damit gezwungen sein, sowohl einen estnischen wie auch einen deutschen Steuerberater zu Rate zu ziehen.

 

Diskussion von Lösungsmöglichkeiten

Als eine Lösungsmöglichkeit wird diskutiert, dass ein bislang unbeschränkt steuerpflichtiger Gesellschafter der OÜ seine unbeschränkte Einkommensteuerpflicht im Inland aufgibt und in einen Staat mit einem „Territorialsteuersystem“ (hierzu gehören bspw. Panama, Uruguay oder Singapur) für natürliche Personen verzieht. Der Steuerpflichtige hat dann nur das Einkommen zu versteuern, welches auf dem Territorium des entsprechenden Staates erzielt wird. Für den Gründer einer estnischen OÜ kann dies dazu führen, dass die Einkünfte der OÜ lediglich mit den steuerlichen Folgen des estnischen Steuersystems belastet werden.

Der Wegzug kann jedoch mit einer Wegzugsbesteuerung, etwa bei bereits bestehenden Beteiligungen des Steuerpflichtigen im Sinne des § 17 EStG, verbunden sein (§ 6 AStG). Auch die besonderen Bedingungen der erweiterten beschränkten Einkommensteuerpflicht des § 2 AStG sind dabei – für deutsche Staatsangehörige – zu beachten.

Als weitere Lösungsmöglichkeit wird die Möglichkeit diskutiert, dass der Steuerpflichtige als „perpetual traveller“ von einem Staat zu einem anderen „weiterzieht“ und damit weder im Inland unbeschränkt steuerpflichtig noch sonst in einem ausländischen Gebiet ansässig ist. Aus steuerlicher Perspektive muss dabei insbesondere die beschränkte Einkommensteuerpflicht gem. § 1 Abs. 4 EStG geprüft werden. Daneben ist auch auf die Risiken der sog. erweiterten beschränkten Einkommensteuerpflicht gem. § 2 Abs. 1 AStG hinzuweisen, wenn der Steuerpflichtige als deutscher Staatsangehöriger in keinem ausländischen Gebiet ansässig ist und weiterhin wirtschaftliche Interessen in Deutschland hat.

 

Fazit

Der Ausschnitt zeigt, dass die Gründung einer estnischen Kapitalgesellschaft unter Beibehaltung der unbeschränkten Steuerpflicht steuerlich keine Vorteile bietet. Solange der Gründer der estnischen Kapitalgesellschaft in Deutschland unbeschränkt steuerpflichtig ist und gleichzeitig das Tagesgeschäft von hier aus betreibt, wird auch die OÜ als unbeschränkt körperschaftsteuerpflichtig in Deutschland angesehen. Das Doppelbesteuerungsabkommen wird keine Abhilfe schaffen, solange auf eine Einigung der Behörden zu hoffen ist.

Die Gründung einer estnischen (oder generell ausländischen) Kapitalgesellschaft kann hingegen ein probates Mittel zur persönlichen Steuerplanung sein, solange der Ort der Geschäftsleitung nicht in Deutschland verortet wird. Dies gelingt beispielsweise, indem die Geschäftsleitung nach Estland verlagert wird. Dennoch sollte beachtet werden, dass – auch wenn ein günstiges ertragsteuerliches Regime im Ausland und die Möglichkeit einer „unbürokratischen“ Gründung zunächst attraktiv erscheinen – eine steuerliche Begleitung dieses Prozesses unerlässlich ist.

 

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